Wie weiter nach Heiligendamm?


Klima- oder ‚Mehrsäulen‘-Camp?!?
 
Im Rahmen des (allmählich ausklingenden) G8-Nachbereitungsmarathons sind Anfang Oktober einige jener Gruppen zusammengekommen, deren Basis zwar das dissent-Netzwerk war, die aber auch den so genannten ‚breiten‘ G8-Bündnisprozess von Anfang an mitgetragen haben – unter anderem die Aktionskonferenzen in Rostock, den Hannoveraner Koordinierungskreis und etliche der lokalen Infoveranstaltungen in Mecklenburg-Vorpommern. Ziel des Treffens war zum einen, die unterschiedlichen Erfahrungen in der Bündnisarbeit auszuwerten, zum anderen zukünftige Projekte zu diskutieren, auch im Hinblick auf die Frage, ob und wie es möglich ist, die bündnispolitischen G8-Experimente fortzusetzen bzw. weiterzuentwickeln. Zumindest an einem Punkt ist unsere Diskussion konkreter geworden – nämlich was die von unterschiedlicher Seite propagierte Idee eines ‚Klimcamps‘ im kommenden Jahr betrifft. Da das erste Klimacamp-Treffen bereits Anfang November in Kassel über die Bühne gehen soll, möchten wir wir unseren diesbezüglichen Diskussionsprozess in aller Kürze zusammenfassen – einschließlich eines praktischen Erweiterungsvorschlages.

Doch der Reihe nach: Einig waren wir uns in zweierlei: a) So sehr die G8-Proteste für viele eine beeindruckende Erfahrung gewesen sein mögen, es sollte nicht aus dem Blick geraten, dass die G8-Mobilisierung bis zum Schluss auf tönernen, d.h. wenigen Füßen stand. Insofern ist es nur die halbe Wahrheit, im Nachhinein von „Erfolg“ zu sprechen. Angemessener scheint es vielmehr, die enorme Potentialität in den Mittelpunkt zu rücken, die in Rostock und Heiligendamm sichtbar geworden ist. Konkret ist hiermit erstens die große Zahl junger, wenn auch (überwiegend) schwach organisierter AktivistInnen gemeint, zweitens der Umstand, dass es immer wieder – nicht nur bei BlockG8 – zu äußerst lustvollen Erfahrungen kollektiver Stärke, ja Schlagkraft gekommen ist und drittens die nicht wegzuredende Tatsache, dass die G8-Proteste trotz erheblicher Differenzen und Misstöne von einem breiten Bündnis auf die Beine gestellt wurden. b) Weniger Einigkeit bestand hingegen darüber, wie mit besagter Potentialität umzugehen sei: Während sich die einen für die Intensivierung lokaler Aktivitäten aussprachen (‚dort, wo die Masse der G8-AktivistInnen zu Hause ist‘), betonten andere die Notwendigkeit, direkt an der politischen Dynamik von Heiligendamm anzusetzen. Nicht nur, weil im Lichte eines (neoliberal) normierten Alltags Großmobilisierungen unerlässlich seien (in diesem Zusammenhang ist auch viel von ‚Event-Kultur‘ die Rede gewesen), sondern auch deshalb, weil es derzeit einen positiven (und obendrein) spektrenübergreifenden Referenzpunkt gäbe, den es nicht zuletzt im Interesse des Aufbaus längerfristiger Strukturen auszunutzen gelte.

Bei aller Unterschiedlichkeit in der Prioritätensetzung, unter uns war unstrittig, dass die beiden Vorgehensweisen allenfalls auf der Ebene der personellen Ressourcen bzw. Kapazitäten einen Widerspruch darstellten, nicht aber prinzipiell. Insofern lag es aus unserer Sicht absolut nah, den Vorschlag eines Klimacamps ausführlich unter die Lupe zu nehmen. Denn unter den derzeit zirkulierenden Vorschlägen scheint einzig das Klimacamp das Zeug zu einem spektrenübergreifenden Post-Heiligendamm-Projekt zu haben. Das hat erstens mit objektiven Gründen zu tun – die Klimafrage ist in der Tat ausgesprochen drängend, zweitens mit dem Umstand, dass in der Klimafrage eine Vielzahl unterschiedlicher Problemstellungen zum Tragen kommt (Energieverschwendung & Kapitalismus, industrialisierte Landwirtschaft, Energieversorgung als globales soziales Recht etc.) und drittens mit dem zweifelsohne fragwürdigen Hype, welcher derzeit um die Klimafrage gemacht wird. Und doch: So sehr sich die Klimafrage als politisches Kampfterrain aufdrängt („social change – not climate change!“), aus unserer Sicht wäre es eine verschenkte Chance, würde es nächstes Jahr lediglich bei einem thematisch beschränkten Großevent bleiben (und realistisch betrachtet, wird es kaum möglich sein, mehrerer solcher Camps ‚hochzuziehen‘)). Denn dass der G8-Protest zu dem geworden ist, was er war, hatte ja gerade mit der Masse und der Unterschiedlichkeit der Beteiligten samt ihrer jeweiligen Schwerpunkte (Stichwort: Thematische Aktionstage) zu tun. In diesem Sinne wäre ein Klimacamp noch nicht einmal ansatzweise in der Lage, quantitativ und qualitativ an den Heiligendamm-Protest anzuschließen – eine Feststellung, die wir sehr wohl im Wissen darum treffen, dass die InitatorInnen des Klimacamps (bislang) überhaupt nicht den Anspruch erhoben haben, in die Fußstapfen des G8-Protests treten zu wollen.

Praktisch heißt das für uns, dass wir statt eines Klimacamps ein ‚mehrsäuliges‘ Camp vorschlagen möchten. Konkreter: Wir fänden es politisch sinnvoll, würden auf dem Camp neben ‚Klima‘ (als sicherlich prominentester Säule) auch noch weitere Schwerpunkte wie ‚Migration‘, ‚Krieg & Frieden‘ oder ‚Prekarisierung & Aneignung‘ verhandelt werden – was im übrigen auch dazu passt, dass es im antirassistischen Spektrum zumindest vorsichtige Überlegungen gibt, im nächsten Sommer an einem der großen Abschiebeflughäfen ein NoBorder-Camp zu organisieren). Hierdurch würde zwar ‚Klima‘ sein Alleinstellungsmerkmal verlieren, dennoch ginge dies mit mindestens vier Vorteilen einher: Erstens dürften zu einem solchen mehrsäuligen Camp deutlich mehr AktivistInnen als zu einem Single-Issue-Event kommen, mit der Konsequenz, dass jedem der einzelnen Schwerpunkte ungleich größere Aufmerksamkeit zuteil würde (konkret halten wir 3.000-4000 AktivistInnen durchaus für möglich – immerhin befinden wir uns im Jahr I nach Heiligendamm). Zweitens würde hierin die Chance liegen, die Verknüpfungen zwischen den einzelnen Themenkomplexen theoretisch und praktisch sichtbar zu machen und somit jenen Crossover-Faden fortzuspinnen, der in der G8-Mobilisierung zwar oft proklamiert, aber nur selten umgesetzt wurde. Drittens würde erst eine Masse von mehreren tausend AktivistInnen zwei oder drei ernsthafte (an BlockG8 anschließende) Blockade-, Stilllegungs-, Aneignungs etc. -aktionen möglich machen, ob an einem Flughafen, einer Kraftwerk-Baustelle, einem Rüstungsbetrieb oder einer gigantischen Shoppingmal. Viertens würde einem ausdrücklich auf den Geist bzw. das Potential von Heiligendamm bezogenen Camp von Anfang an ein überproportional hoher Aufmerksamkeitslevel garantiert sein.

Sorge, dass ein derartiges Camp zu einem unüberschaubaren Gemischtwaren-Laden würde, hätten wir nicht – in diesem Zusammenhang möchten wir ausdrücklich an die viel zitierte G8-Choregrafie des Widerstandes erinnern. Zentraler Unterschied zu Heiligendamm wäre vielmehr, dass es nicht mehr einen lokalen G8-Gipfel als ’natürliche‘ Klammer gäbe. Dies könnte auf zweierlei Weise kompensiert werden: Entweder darüber, dass ein solches Camp parallel zum nächsten G8-Gipfel in Japan stattfände, wo Klima ebenfalls eine größere Rolle spielen soll (7.-9. Juli 2008), oder darüber, dass wir die Kämpfe durch eine eigene Klammer verbinden – etwa die (als Kristallisationspunkt fungierende) Forderung nach globalen sozialen Rechten.

Es dürfte sich von selbst verstehen, dass ein solches Camp – ansonsten wäre es nicht realisierbar – von vielen tatsächlich gewollt sein müsste – nicht nur von denen, die die Initiative zu einem Klimacamp lanciert haben, sondern auch von etlichen weiteren Einzelpersonen, Gruppen und Netzwerken. In diesem Sinne möchten wir unsere Initiative lediglich als Diskussionsorschlag verstanden wissen – ggf. würden wir uns natürlich an der Verwirklichung eines entsprechenden Projektes beteiligen.

NoLager Bremen (Oktober 2007)

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