Unter der etwas sperrigen Überschrift „Wie weiter nach Heiligendamm: Klima- oder ‚Mehrsäulen’-Camp?!?“ hatten wir bereits Ende Oktober ein Diskussionspapier über diverse (G8-)Mailinglisten verbreitet, in dem wir uns kritisch-solidarisch mit der inzwischen immer konkreter verhandelten Idee eines Klimacamps im Sommer 2008 auseinandersetzen (vgl. http://wiki.klimacamp.org/index.php/Strategiepapiere). Unsere Überlegungen kreisten im Kern um zweierlei: Zum einen machten wir uns dafür stark, dass aktuelle politische Projekte wie z.B. das Klimacamp stets auch im Hinblick auf die in der G8-Mobilisierung gesammelten (Bündnis-) Erfahrungen angegangen werden sollten – zumindest im Jahr I nach Heiligendamm. Zum anderen verknüpften wir das mit der Schlussfolgerung, dass es eine Art partikularistischer Rückfall wäre, würde im nächsten Sommer ein vorrangig auf die Klima- (oder irgendeine andere) Problematik beschränktes Camp über die Bühne gehen. Stattdessen brachten wir den Vorschlag eines so genannten Mehrsäulencamps ins Spiel. Darunter verstehen wir – im Anschluss an die viel zitierte „Gesamtchoreografie des Widerstands“ in Heiligendamm – ein Camp mit mehreren Themenschwerpunkten (d.h. Säulen), die zwar politisch und thematisch eng aufeinander bezogenen sind, ohne jedoch in einem wie auch immer gearteten Hierarchieverhältnis zu stehen. Unsere Anmerkungen haben – so scheint es – ein durchaus lebhaftes Echo hervorgerufen, was uns natürlich freut. Und doch: Die konkrete Zustimmung ist eher bescheiden ausgefallen. Das ist der Grund, weshalb wir uns einmal mehr zu Wort melden möchten – einfach deshalb, weil uns an der Sache sehr gelegen ist.
Beginnen möchten wir mit Stimmen & Stimmungen, die uns bei Leuten begegnet sind, welche mit der Vorbereitung des Klimacamps nichts am Hut haben. Hierzu zählen unter anderem AktivistInnen aus der antirassistischen Ecke, wo ja ebenfalls über eine größere (Camp-)Zusammenkunft im kommenden Jahr nachgedacht wird – womöglich samt Flughafenblockade wie 2001 beim 4. Antirassistischen Grenzcamp in Frankfurt (da die Initiative im Kern von Hamburger Gruppen ausgeht, dürfte Hamburg + X auch Ort des Geschehens werden) . Insbesondere zwei Tendenzen sind uns bei unseren Erkundungen ins Auge gefallen: Einerseits hat niemand – was uns keinesfalls erstaunt – dem Vorschlag eines Mehrsäulencamps explizit widersprochen. Anderseits sind Vorbehalte gegenüber der ‚Ökologiefrage’ mehr als deutlich zu Tage getreten, so wie sich auch die (politische) Lust auf intensive Bündnis- und Koordinierungsprozesse als reichlich begrenzt entpuppt hat.
Was den politische Unwillen anbelangt, sich ernsthaft mit der Klimaproblematik auseinanderzusetzen, sind wir zwiegespalten: Auf der einen Seite behagt uns der apokalyptische Zungenschlag ebenfalls nicht, mit dem just diese Frage regelmäßig aufgemacht wird. Und zwar nicht nur, weil Endzeitstimmungen noch nie geeignete Wegweiser im politischen Alltag gewesen sind, sondern auch deshalb, weil dies von vielen Menschen als moralinsaure Zumutung, ja Erpressung empfunden wird. Und dennoch: Die Zerstörung ökologischer Ressourcen – nicht zuletzt durch fossilistische Energieproduktion – hat dramatische Ausmaße erreicht, das kann schlechterdings bestritten werden. Einer Linken auf der Höhe der Zeit bleibt insofern nichts anderes, als einen angemessenen Umgang mit den entsprechenden Herausforderungen zu finden, auch dort, wo die Ökologiefrage (erklärtermaßen) unbequem zu werden droht.
Ungleich problematischer erscheint uns jedoch die mehr oder weniger offen(siv) artikulierte Nicht-Bereitschaft zu bewegungs- und spektrenübergreifenden Bündnisprozessen. Denn so sehr themenspezifische Spezialisierungen (im Sinne von Arbeitsteilung) unumgänglich sind, so wenig sollte die schwerpunktmäßige Beschäftigung mit einem Themenfeld unter selbstgenügsamen, d.h. partikularistischen Vorzeichen erfolgen – das ist unseres Erachtens eine der zentralen Fortschritte in der gemeinsamen G8-Mobilisierung gewesen. Einerseits weil die Dinge in der ‚Wirklichkeit’ immer schon eng verzahnt sind, ein Sachverhalt, der sich auch auf der Seite des Protests bemerkbar machen sollte – unter anderem deshalb, um vermeintlichen oder tatsächlichen Widersprüchen frühzeitig das Wasser abgraben zu können: Zum Beispiel ist einem IG-Metall-Gewerkschafter in Deutschland die gedeihliche Entwicklung der Automobilindustrie fast zwangsläufig ein grundlegendes Anliegen (und zwar aus durchaus nachvollziehbaren Gründen), umgekehrt sollte der Individualverkehr aus klimapolitischer Sicht massiv eingeschränkt werden, zumal private PKW-Nutzung mittlerweile nicht mehr nur ein Privileg der reichen Industrieländer ist. Andererseits ist Partikularismus auch deshalb eine Sackgasse (und ist es immer schon gewesen), weil eine nur auf sich selbst beschränkte Teilbereichsbewegung schlicht und einfach nicht im Stande ist, gesamtgesellschaftliche Kräfteverhältnisse zu verschieben – noch nicht einmal auf ‚ihrem’ ureigensten Feld. Oder konkreter: Dass Heiligendamm derart beflügelnd gewesen ist – mit beträchtlichen Rückkoppelungseffekten mindestens unter den AktivistInnen selbst – dürfte nicht zuletzt damit zu tun gehabt haben (um nur zwei Beispiele zu nennen), dass wir am 3. Juni mit 5000 Menschen gegen den Wahnsinn in der globalen Landwirtschaft demonstriert haben und nicht mit 100 wie am 17. April in Berlin (anlässlich des weltweiten Aktionstags von via campesina) oder dass am 4. Juni 8.000 Menschen zur Demo „für globale Bewegungsfreiheit“ und „gleiche Rechte für alle“ gekommen sind und nicht wie sonst bei antirassistischen Aktionen 200-300.
Just an diese (symbolischen) Erfolge gilt es anzuknüpfen, jedenfalls wäre es aus unserer Sicht ausgesprochen enttäuschend, im Sommer 2008 mit 1000 Menschen vor der Baustelle eines Kohlekraftwerks zu sitzen oder mit 500 Leuten über einen riesigen Flughafen zu irren. Denn in beiden Fällen würden keine effektiven Blockaden a lá Heiligendamm zustandekommen, was allerdings Voraussetzung dafür ist, das Thema nicht nur in den überregionalen Medien, sondern auch in der linken Öffentlichkeit zu platzieren – letzteres auch mit wichtigen Impulsen für die häufig vergeblich anmutende Arbeit auf lokaler Ebene.
Wir möchten nunmehr zur Diskussion innerhalb der Klimacamp-Vorbereitung kommen, soweit wir sie live, in Einzelgesprächen und über die Mailingliste mitbekommen haben. Denn auch hier scheint unser Vorschlag eher auf gedämpfte Zustimmung gestoßen zu sein. Dies kommt nicht nur in zahlreichen Beiträgen auf der Mailingliste („Ich will ein Klimacamp, sonst nix“), sondern auch in der aktuellen Einladung zum zweiten Klimacamp-Vorbereitungstreffen unmissverständlich zum Ausdruck: Dort heißt es zwar, dass „kein single-issue-camp“ erwünscht sei, vielmehr solle es ein „gleichberechtigstes Miteinander der verschiedenen Bewegungen geben.“ Umgekehrt wird jedoch auch betont, und zwar gleich zu Beginn: „Klima ist die inhaltliche Klammer des Camps“, Ziel sei es, „durch Workshops und Aktionen zu verschiedenen Kämpfen deren Verbindung zum Thema Klima aufzuzeigen.“
In unseren Augen stellt dies eine bestenfalls halbherzige Offenheit dar, denn bei weitem nicht alle Kämpfe lassen sich gleichermaßen mit der ökologischen Frage kurzschließen. Keine Probleme dürfte es etwa mit Themenfeldern wie „globale Landwirtschaft“, „Atomwirtschaft“ oder „Ressourcen-Kriege“ geben, liegen doch hier die Verbindungslinien klar auf der Hand. Anders verhält es sich bereits mit der „sozialen Frage“: Es wäre zwar ohne große Mühe aufzeigbar, (um ein x-beliebiges Beispiel rauszupicken), inwieweit die so genannte Lissabon-Strategie der EU, wonach die EU bis 2010 zur wettbewerbsfähigsten Region der Welt ausgebaut werden soll, nicht nur ein Arbeitsplatzzerstörungsprogramm ist, sondern auch ökologische Standards massiv in Bedrängnis bringt. Allein: Das ist nur die eine Seite der Medaille. Denn die Kämpfe von Erwerbslosen leiten sich in aller Regel nicht von allgemeinen Überlegungen ab, sie setzen vielmehr an konkreten Problemen an, etwa bei 1-Euro-Jobs oder Zwangsumzügen. Ähliches gilt auch für die Kämpfe von Flüchtlingen und MigrantInnen: So sehr der Klimawandel mit desaströsen Konsequenzen insbesondere in den armen Ländern des Globus einhergeht (und deswegen viel mit Landflucht und Migration zu tun hat), Flüchtlinge und MigrantInnen in Europa kämpfen dennoch in erster Linie gegen Abschiebungen und rassistische Entrechtungen. Mit anderen Worten: Es genügt keineswegs, einfach nur analytisch herauszuarbeiten, dass alles mit allem zusammenhängt, es gilt vielmehr auch, die Eigenlogiken sozialer Kämpfe zur Kenntnis zu nehmen! Letzteres trifft natürlich auch auf all jene Auseinandersetzungen zu, die nur mit argumentativer Akrobatik ökologisch ‚gerahmt’ werden können. Exemplarisch sei die zur Zeit allenthalben intensiv verhandelte Frage von „Sicherheit, Kontrolle & Überwachung“ erwähnt – samt „Luxussanierung innerstädtischer Bezirke“. Pikant ist letzteres im übrigen auch deshalb, weil das nächste Klimacampvorbereitungstreffen am gleichen Wochenende stattfinden wird wie die große „Out of control“-Demo in Hamburg (14.-16.12.)…
Spätestens vor diesem Hintergrund dürfte nachvollziehbar werden, weshalb wir uns einmal mehr für ein wirkliches, d.h. ein unverkürztes Mehrsäulencamp aussprechen möchten. Ein solches Projekt würde nämlich – darauf sind wir bereits in unserem ersten Diskussionspapier eingegangen – sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht eine sehr viel größere Dynamik entfalten als jedes nur erdenkliche single-issue-Projekt. Und das mit nicht unerheblichen Konsequenzen: Denn selbst wenn sich mehrere Teilbereichsbewegungen 10 Tage lang die öffentliche und interne Bühne teilen müssten, dürfte unter’m Strich jede einzelne von ihnen (also auch die derzeit nicht nur in Deutschland aus dem Boden sprießende „Social change, not Climate Change“-Bewegung) ungleich stärker von einem Mehrsäulen- denn einem reinen Klimacamp profitieren.
Wie aber könnte es weitergehen? Bekanntlich finden vom 17.-20.01.2008 in Berlin die so genannten Perspektiven-Tage statt (www.perspektiventage.de). Im Mittelpunkt wird die Frage stehen, wie es mit dem Heiligendammprozess inhaltlich und organisatorisch weitergehen soll – dementsprechend sind alle an den G8-Protesten beteiligten Gruppen, Spektren und AktivistInnen eingeladen, sich aktiv in die Perspektiventage einzuklinken. Für das Klimacamp könnte dies also eine äußerst günstige Gelegenheit darstellen (so denn gewollt), seine politische und soziale Basis im Sinne der Mehrsäuligkeit auszubauen. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang auch, dass sich vom 04.-06.01. das „Aktionsnetzwerk globale Landwirtschaft“ und vom 12.01. bundesweite antirassistische Zusammenhänge treffen werden – insofern dürfte bis zu den Perspektiventagen auch in anderen Teilbereichsbewegungen eine Selbstverständigung in Sachen ‚Mehrsäulencamp’ erfolgt sein. Wichtig ist uns indessen, dass wir mit unserer Initiative niemandem Wind aus den Segeln nehmen möchten – nichts wäre bescheuerter als das! Das ist der Grund, weshalb wir uns sehr wohl (niedrigschwellige) Kompromisse vorstellen können, beispielsweise die Organisation von zwei oder drei themenbezogene Camps am gleichen Ort und zur gleichen Zeit, inklusive eines gemeinsamen Aktionsfahrplans – so wie es ja auch während des G8-Gipfels mehrere Camps gegeben hat, von denen aus AktivistInnen zu gemeinsamen Aktionen aufgebrochen sind (wie das praktisch aussehen könnte, dazu wird kein mensch ist illegal Hanau in den nächsten Tagen noch einiges aufschreiben und ebenfalls verschicken).
Es bleibt: Leider können wir am Dezember-Treffen nicht oder allenfalls vereinzelt teilnehmen – was im übrigen auch (aber nicht nur) mit der Out of Control-Demo in Hamburg zu tun hat. Uns ist bewusst, dass dies nicht sonderlich glücklich ist, es lässt sich aber nicht ändern.
kein mensch ist illegal Hanau, NoLager Bremen, six hills, Gipfelsoli sowie x-weitere AktivistInnen von hier & dort. (Dezember 2007)