Doppelcamp in Hamburg


Für globale Bewegungsfreiheit und ein ganz anderes Klima!

Mitte August ist es soweit: Klima- und antirassistisches Aktionscamp schlagen zur gleichen Zeit am gleichen Ort ihre Zelte auf. Es gibt zwar getrennte Vorbereitungskreise, doch Infrastruktur sowie Aktionsplanungen werden eng aufeinander abgestimmt – einschließlich thematischer Brückenschläge. Damit steckt im Hamburger Doppelcamp das Potential, im ersten Sommer nach Heiligendamm das von unterschiedlicher Seite forcierte Projekt einer nicht nur spektren- und themenübergreifenden, sondern auch handlungssfähigen Linken voranzubringen – gemäß der Devise: Trans-Act!

dpa-Pressemeldung vom 23. August 2008:
„Hamburg im Blockadegriff: Mit zwei spektakulären Massenaktionen haben radikale MenschenrechtlerInnen und ÖkoaktivistInnen das schwarz-grün regierte Hamburg in Atem gehalten. Ein Großeinsatz der Polizei konnte zunächst nicht verhindern, dass am gestrigen Nachmittag der Verkehr rund um den Flughafen zusammenbrach und Hunderte ihre Flüge verpassten. Aus Protest gegen Sammelabschiebungen konnten einzelne Gruppen trotz Absperrungen und scharfer Kontrollen in die Terminals gelangen, andere errichteten Barrikaden auf den Zufahrtstraßen. Um 15 Uhr war der Blockadering perfekt, erst am Abend beruhigte sich die Situation.

Ähnliche Bilder völlig überforderter Polizeikräfte heute in Moorburg: Mehrere tausend DemonstrantInnen beteiligten sich an der Belagerung der Baustelle des Kohlekraftwerks. Aus Protest gegen die Klimapolitik und die Fortführung der Kohlenutzung wurden die Zufahrtsstraßen blockiert, rund 1000 DemonstrantInnen gelangten sogar auf das Baugelände. Beide Aktionen gelten als Höhepunkte von zwei Protestcamps, die morgen zu Ende gehen und während der vergangenen Woche bereits mehrfach für Aufsehen und Störungen gesorgt haben. Führende Politiker der CDU forderten, solche Camps in Zukunft zu verbieten.“

Ausschlaggebend ist unseres Erachtens erstens, dass in Hamburg die Forderungen nach globaler Bewegungsfreiheit und ökologischer Gerechtigkeit an einer konkreten Bewegungschnittstelle aufeinandertreffen. Ein Umstand, welcher auch zur jüngst angelaufenen Initiative www.globale-soziale-rechte.de passt. Denn auch sie zielt darauf ab, Austausch und Kooperation zwischen ganz verschiedenen Akteuren praktisch zu vertiefen – was natürlich die Diskussion von Widersprüchen und Differenzen miteinschließt.

Zweitens möchten wir betonen, dass globale Bewegungsfreiheit und ökologische Gerechtigkeit buchstäblich grenzenlose Forderungen sind und in diesem Sinne einmal mehr die Notwendigkeit transnationaler Organisierung von unten auf die Tagesordnung setzen. Nicht unerwähnt sollte deshalb bleiben, dass das antirassistische Camp im Kontext einer europäisch-afrikanischen Aktionskette gegen das „globale Apartheidsregime der Ausgrenzung und Abschiebung, der Illegalisierung und Ausbeutung“ steht.

Drittens ermöglicht das Doppelcamp die Mobilisierung in unterschiedlichen Spektren und Teilbereichen, also auch das Zustandekommen ‚kritischer Masse‘. Denkbar sind mehrere tausend Beteiligte, die mit flexiblen Aktionskonzepten trotz polizeilicher Großaufgebote in der Lage sein sollten, dem herrschenden Wahnsinn kräftig in die Suppe zu spucken. Eine mit der Mobilisierung gegen den G8 vergleichbare Bündelung und damit Wiederholung wird freilich nicht möglich sein. Es geht jedoch um die Frage, ob der Erfolg der Anti-G8-Proteste eine Eintagsfliege bleibt oder ob es gelingen kann, an spektren- und themenübergreifende Widerstandschoreographien sowie Fünf-Finger-Taktiken langfristig anzuknüpfen.

Die Vorgeschichten der beiden Camps sind sehr verschieden: Während die antirassistische Bewegung in Germany auf eine über zwanzigjährige Geschichte zurückblicken kann, steckt der linke Kampf gegen die herrschende Klimapolitik noch in den Kinderschuhen. Im Rahmen der letztjährigen Anti-G8-Proteste ist es etwa gelungen, eine Demonstration mit knapp 10.000 TeilnehmerInnen für Bewegungsfreiheit und gleiche Rechte auf die Straßen Rostocks zu bringen. Demgegenüber wurde in vielen Nachbetrachtungen die klimapolitische Leerstelle beklagt (und auch als ein Grund dafür angesehen, dass Merkel sich in Heiligendamm so ungeniert als „Klima-Engel“ inszenieren konnte). Das Antira-Camp soll die zwar vielfältige, aber auch reichlich zersplitterte antirassistische Linke wieder stärker zusammenbringen, mit der Flughafen-Großaktion am 22.08. (siehe Seite 3) ist außerdem die Hoffnung auf ein breites, offensives und spektakuläres Auftreten verknüpft. Das Klimacamp soll zunächst Raum bieten, um die inhaltlichen Grundlagen für eine linke Klimabewegung zu schaffen, und will mit der Großaktion in Moorburg am 23.08. (siehe Seite 3) gleichzeitig praktische Handlungsfähigkeit demonstrieren.

Konkrete Beispiele zur Verschränktheit von Klimawandel, Migration und globalisiertem Kapitalismus sind in zwei weiteren Texten dieser Zeitung (siehe Seite 4) zu finden. Das Zusammenspiel lässt sich aber auch in einer kurzen, zwischen Bangladesh und der Ukraine verorteten Geschichte aufspüren: Shek – der Name ist ein Pseudonym – verließ vor 4 Jahren den Süden Bangladeshs, einem der Brennpunkte des globalen Klimawandels. Die wirtschaftliche Situation seiner kleinbäuerlichen Familie war schon immer prekär. Die verheerenden Überschwemmungen – ausgelöst durch vermehrte Niederschläge, steigenden Meeresspiegel und überlaufende Flüsse (im Zuge abschmelzender Gletscher) – verschärften die Situation und haben den Hof endgültig an den Rand des Ruins getrieben. Drei der sechs Geschwister machten sich 2004 auf den Weg. Zwei blieben in Indien, Shek setzte seine Reise nach zwei Jahren als Bauarbeiter mit Ziel London fort. Über Moskau und Kiew ging es in einer Gruppe von 10 Leuten zügig Richtung Westen, doch dann wurden sie auf slowakischem (EU-)Territorium geschnappt und zurück in die Ukraine gekarrt. Die letzten 6 Monate war er dort unter elenden Bedingungen in Pawschino eingesperrt, einem EU-finanzierten und und von ukrainischen Soldaten bewachten Internierungslager bei Ushgorod, unmittelbar vor den Toren der EU.

Angesichts derart komplexer Flucht- und Migrationsgeschichten sei der Begriff des „Klimaflüchtlings“ ausdrücklich in Frage gestellt. Denn es sind staatliche Migrationsregime, welche Flüchtlinge und MigrantInnen kategorisieren: Einerseits um ihre nach ökonomischem Kalkül begründeten Ein- und Ausschlüsse zu rechtfertigen, andererseits um gesellschaftliche Zusammenhänge zu verschleiern – etwa die Tatsache, dass der Schutz vor Überschwemmungen nicht zuletzt eine Frage ökonomischer Ressourcen ist. Der Widerstand sollte sich hier nicht ausspielen lassen: weder —politische Flüchtlinge gegen vermeintliche —Klima- oder Wirtschaftsflüchtlinge noch Antirassismus gegen ökologische Gerechtigkeit. Hamburg sollte vielmehr ein Ort sein, wo die Dinge zusammengebracht werde im Sinne des Mottos: Für globale Bewegungsfreiheit, social change, not climate change!

 

// Mobilisierungszeitung zum Hamburger Doppelcamp // Hrsg. von Transact! // August 2008 // Nr.1 //

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