Der kleine Werkzeugkasten


Was tun in (Alltags-)Kämpfen?

Das Einmischen in soziale Kämpfe hat mit der Krise plötzlich (wieder) Hochkonjunktur bekommen. Niemand hat dafür Patentrezepte, auch wir nicht. Allerdings haben wir in den letzten Jahren einige Erfahrungen in sozialen Kämpfen gesammelt, vor allem in antirassistischen Auseinandersetzungen, aber auch in Erwerbslosenkämpfen und bei zwei oder drei Streiks. Wir haben versucht, aus diesem Erfahrungsschatz ein paar Werkzeuge und Tipps herauszudestillieren. Dieser kleine »Ratgeber« ist weder komplett noch der Weisheit letzter Schluss – eher ein erster Anfang, der hoffentlich in den nächsten 1-2 Jahren um viele weitere Erfahrungen bereichert wird.

1 »Geschlossen« ist das (Werks-)Tor nur in unserem Kopf – das gilt für betriebliche Kämpfe genauso wie für das isolierte Flüchtlingslager im Wald. Wann immer (Streik-)Auseinandersetzungen stattfinden, ist es möglich, mit den Streikposten zu sprechen. Flüchtlinge im Lager freuen sich ebenfalls über (politischen) Besuch. Du musst nur Zeit mitbringen und von Anfang an deutlich machen, dass du nicht nur Infos ‘abziehen’ möchtest, sondern auch an ernsthaftem Kontakt interessiert bist. Hierzu kann zum Beispiel gehören, Handy-Nummern auszutauschen. Dadurch wird klar, dass Kontaktaufnahme in beide Richtungen möglich und gewünscht ist – das schafft Vertrauen.

2 Neugier und Offenheit und die Bereitschaft zur Veränderung sind drei nicht unwichtige Eigenschaften, wenn du dich auf soziale Kämpfe einlassen möchtest. Bist du bereit, dich auf andere einzulassen, die nicht nach deinen Regeln leben, die vielleicht fünfmal am Tag beten, in einer klassisch gestrickten Kleinfamilie leben oder Arbeitsamkeit für ein hohes Gut halten? Das kann manchmal schmerzhaft sein und manchmal ziemlich spannend. Und es kann auch passieren, dass in deinem Leben einiges durcheinander gewirbelt wird.

3 Wer einen Weg von 1000 Meilen gehen will, kommt um den ersten konkreten Schritt nicht herum. Auch in sozialen Kämpfen gilt das. Kämpfe entzünden sich oft an kleinen Anlässen, z.B. am beschissenen Essen in der Kantine des Abschiebelagers. Im weiteren Prozess wird es möglicherweise auch um die Systematik der Entrechtung gehen, die dahintersteckt – mit der Konsequenz, dass auch die Forderungen radikaler werden. Aber selbst Menschen, die weitergehende Schritte machen möchten, werden dich zuerst daran messen, ob du auch bereit bist, mit ihnen um ganz konkrete Verbesserungen ihrer Situation zu kämpfen. Hierzu können Kopierjobs, Formulierungshilfen beim Flugblatt-Schreiben oder das Kontaktieren von RechtsanwältInnen genauso gehören wie Fundraising.

4 Ob es zu weitergehenden Forderungen kommt, kannst du allerdings nicht erzwingen – so sinnvoll es ist, diese Forderungen von Anfang an mitzuformulieren. Viele geben sich mit kleinen Verbesserungen zufrieden oder sind schnell frustriert. Das hat auch ein ständiges Kommen und Gehen zur Folge, so dass bestimmte Diskussionen immer wieder aufs Neue geführt werden müssen. Ein langer Atem ist also unerlässlich.

5 Jeder offen geführte Kampf braucht Schlüsselpersonen, die dafür einstehen, dass Protest sinnvoll ist, das heißt Personen, die besonders motiviert und mutig sind, die viele Erfahrungen haben. Umgekehrt bedeutet das ein nicht unerhebliches Risiko: Einer exponierten migrantischen Organizerin von Putzkräften in Athen wurde etwa kürzlich Säure ins Gesicht geschüttet. Die Schlüsselpersonen brauchen daher besondere Aufmerksamkeit und Schutz. Geben sie auf, geht ein konkreter Streik und manchmal ein ganzer Kampfzyklus zu Ende. Sie sind zugleich die LangstreckenläuferInnen in sozialen Kämpfen. Und doch: So wichtig Schlüsselpersonen sind, ohne die anderen läuft genauso wenig. Hier geht es nicht zuletzt darum – Stichwort Empowerment – die Leute darin zu unterstützen, für ihre Erfahrungen Worte zu finden und mit ihren Anliegen offen(siv) aufzutreten.

6 Die gefürchteten Mühen der Sozialarbeit: In praktischen Kämpfen mitzumischen heißt, sich auf konkrete Unterstützungsarbeit einzulassen. Manche linken AktivistInnen sprechen eher abfällig von Sozialarbeit. Kein offen geführter kollektiver sozialer Kampf ist jedoch möglich ohne intensive soziale Arbeit. Es kann sein, dass ein Kind zur Ärztin gefahren werden muss oder dass es persönliche Auseinandersetzungen im Streikkollektiv gibt, wo es gut ist, wenn Dritte als Ansprechpersonen zur Verfügung stehen. Das Zusammenkommen von Menschen braucht Zeit, denn Kommunikation entsteht in einem auf Vereinzelung abzielenden System nicht von selbst. Aber keine Angst: Viel komplizierter als ein WG-Konflikt ist das Ganze auch nicht!

7 Kämpfe können wie ein Vulkan ausbrechen. In Athen wird ein Schüler erschossen und es beginnt ein Aufstand der Prekären. Kämpfe sind nicht planbar, sie richten sich nicht nach dem Semester oder deinen Urlaubsplänen. Wer sich einmischen möchte, muss sich flexibel halten und manchmal bereit sein, die eigenen Pläne über den Haufen zu werfen.

// Krise & soziale Kämpfe: Fragen, Debatten, Strategien
zur aktuellen Situation // Hrsg. von Transact! // Frühjahr 2009 // Nr.2
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