und eine transnationale Einladung nach Lesbos!
»Der Kapitalismus kann aus Aorta und Kopfschlagadern zugleich bluten, die Menschen aus der 3. Welt werden sich trotzdem auf den Weg machen.«
MigrantInnen werden in der Krise als erstes gefeuert, nicht nur in den USA oder in Europa. Nein, auch in den Wachstumszonen Chinas sollen bereits 20 Millionen WanderarbeiterInnen ihren Arbeitsplatz verloren haben. Hinzu kommen massive rassistische Übergriffe, z.B. in Italien, verschärfte Razzien oder Prämien für »freiwillige Rückkehr« wie in Spanien – und das alles, um den Ausreisedruck zu erhöhen. Der eingangs zitierte Roman-Autor Junot Diaz ist dennoch davon überzeugt, dass sich die Migrationsbewegungen nicht stoppen lassen. Aus gutem Grund: das globale Ausbeutungsgefälle nimmt mit der Krise keineswegs ab, im Gegenteil, in vielen Regionen des globalen Südens spitzt sich die Lage weiter zu. Insofern dürfte es sich von selbst verstehen, dass die Kämpfe der Migration auf keinen Fall außen vor bleiben können, wann immer es um die Frage geht, wie die bewegungspolitische Linke im Feld sozialer Kämpfe agieren sollte.
Migration in der Krise: Wer auf einen speziellen Arbeitsplatz z.B. in Dubai angewiesen war und diesen verloren hat, wird alle Kreditkarten ausschöpfen und verschwinden. Wer hingegen Möglichkeiten sieht, sich in den reicheren Zonen mit informellen Jobs durchzuschlagen, bleibt. In Spanien haben vor allem ältere MigrantInnen – etwa aus Ecuador – die Rückkehr-Prämie (mit)genommen, sie wollten sowieso zurück. Wer visumsfrei reisen kann, wie viele OsteuropäerInnen, pendelt und wartet ab. Und dass die Millionen chinesischer WanderarbeiterInnen brav in ihre Dörfer zurückkehren, glaubt kaum jemand. Fast alle sind in den letzten Jahren mit Streiks oder (Lohn)Protesten in Berührung gekommen, ihre Ansprüche auf ein höheres Einkommen bleiben virulent. Die massiven (Binnen-)Migrationsbewegungen – ob in China, von Lateinamerika in die USA oder von Afrika nach Europa, sie sind nicht zuletzt Ausdruck einer »Revolution der Erwartungen«. Denn in der Vielzahl sich überlagernder Beweggründe bleibt die Suche nach dem besseren Leben das ausschlaggebende Motiv: Migration als Aneignungsbewegung trotz und gegen die Krise.
Migration als Sozialbewegung: Der Kampf für Bewegungsfreiheit und Bleiberecht hat längst eine globale Dimension erreicht und ist mit dem Bild des Eisbergs treffend beschrieben. Denn Migrationsbewegungen verlaufen überwiegend als untergründiger Sozialprozeß. Nur eine kleine Spitze wird sichtbar, wenn MigrantInnen in Ceuta und Melilla die Zäune stürmen, oder wenn Sans Papiers in Paris oder Rom auf die Straße gehen und Rechte und Papiere fordern. »Ein schlafender Riese ist erwacht«, so beschrieben amerikanische AktivistInnen die migrantischen Massenmobilisierungen 2006 in den USA. Plötzlich demonstrierten Millionen spektakulär und öffentlich, die in den vorausgegangenen 20 Jahren stetig im Stillen die Grenzen unterwandert und sich »undocumented« mit Hilfe ihrer Communities durchgeschlagen hatten.
Frontex(plode): Im Konzept einer globalen Sicherheitsarchitektur, die »illegale Migration« zu einem zentralen Bedrohungsfaktor erklärt, kommt Frontex die Aufgabe zu, den euro-asiatischen und euro-afrikanischen Raum unter Kontrolle zu halten. Im Migrationsmanagement für das moderne Apartheidsystem ist der Tod tausender Boatpeople im Mittelmeer und Atlantik einkalkuliert. Frontex-Operationen zwingen zu immer gefährlicheren Routen, Boote werden »abgedrängt« oder gerammt. Und das EU-Grenzregime zieht die Spur seiner Abschiebelager längst nicht nur bis in die Ukraine oder nach Marokko, sondern auch nach Mauretanien oder Mali.
Transnationalisation Now: Ein Menschen-rechtsaktivist aus Mauretanien forderte auf einer Kundgebung vor der Frontex-Zentrale in Warschau den Stopp der Operationen vor der westafrikanischen Küste. In Bamako protestierte eine Organisation von Abgeschobenen gegen die Eröffnung eines EU-Vorpostens der Migrationskontrolle und behinderte die Inkraftsetzung eines Rückübernahmeabkommen. Kritische Medienberichte und ein Nobordercamp trugen dazu bei, dass das militarisierte Hungerlager Pawschino in der Westukraine geschlossen wurde. Gleichzeitig startete in Ushgorod eine neue Initiative mit kontinuierlichem Border-Monitoring. Die Bemühungen der letzten Jahre in Sachen transnationaler Vernetzung durch Sozialforen und Gegengipfel scheinen erste konkrete Früchte zu tragen. Kleine Erfolge machen Mut, den schwierigen »politischen Prozess der Kommunikation und Organisation voranzutreiben«. In einem »transnationalen Manifest« von Ende 2008 wird das Dreieck von Grenzregime, migrantischer Arbeit und Legalisierung als gemeinsamer inhaltlicher Orientierungsrahmen bestimmt (vgl. www.noborder.org).
Next Station Lesbos: Als nächstes transnational ausgerichtetes Projekt steht ein Nobordercamp vom 25. bis 31. Ausgust 2009 auf der griechischen Insel Lesbos an. Dazu sollen alle Gruppen eingeladen werden, die an den Brennpunkten des EU-Grenzregimes tätig sind: Aktive der euro-afrikanischen Vernetzung und vom »Border-Monitoring« genauso wie Initiativen aus dem Osten. Doch das Lesbos-Camp soll sich nicht auf die Weiterentwicklung von Vernetzung und Austausch beschränken. Nur knappe 10 km von der türkischen Küste entfernt ist diese Insel seit einigen Jahren ein stetiger Anlaufpunkt für kleine Boote mit Flüchtlingen und MigrantInnen. Und deshalb ein zentrales Operationsgebiet von Frontex – »Poseidon« nennen sie dort ihre Menschenjagd! Anlass genug, den »Mördern der Boatpeople« Ende August öffentlichkeitswirksam auf die Pelle zu rücken.
// Krise & soziale Kämpfe: Fragen, Debatten, Strategien zur aktuellen Situation // Hrsg. von Transact! // Frühjahr 2009 // Nr.2 //