Gesundheitsmapping und Globale Soziale Rechte
Zu Recht stehen »Militante Untersuchungen« derzeit hoch im Kurs – die Zeitschrift Arranca! hat der Thematik sogar ein eigenes Heft gewidmet. Eine zwischen April und Juli durchgeführte (Pilot-)Untersuchung unter der Leitfrage »Was macht uns krank?« stammt von der Initiative Globale Soziale Rechte (GSR). Sie zeigt gut, inwieweit Militante Untersuchungen bzw. Befragungen einen Zugang zu sozialen Auseinandersetzungen eröffnen können.
Die Befragungsrunden der GSR-Initiative sollen interaktiv sein, die Beteiligten zur Mitgestaltung bewegen, ihre häufig individualisierten Leiden als kollektive Erfahrung spürbar machen und insofern »Wut und Mut erzeugen«. Der unmittelbare An-spruch zielt also auf Selbstermächtigung bzw. Empowerment. Was einem besseren Leben im Weg steht, soll parallel in verschiedenen sozialen Feldern über gesundheitliche Probleme zur Sprache gebracht werden. Einerseits werden Gruppengespräche geführt in der Tradition des »Motivational Interviewing«, das davon ausgeht, dass die Quelle und Motivation für Veränderungen bei den Betroffenen selbst liegt. Andererseits kommen Methoden des Gesundheitsmappings zum Einsatz. Dieses beginnt in der Regel mit großen Körperbildern, die an der Wand befestigt werden und auf denen die Beteiligten zunächst ihre Schmerzpunkte selbst lokalisieren sowie sich gegenseitig erläutern können. Darüber ins Gespräch gekommen, geht es in nächsten Schritten um Gemeinsamkeiten, um Ursachen und um kurz- wie auch längerfristige Veränderungsvorschläge.
»Ein Bild sagt mehr als tausend Worte«, so lautet der Titel eines Leitfadens von TIE (einem weltweiten Netzwerk linker GewerkschafterInnen), der sich nicht nur auf zahlreiche positive Erfahrungen bei Beschäftigten in hiesigen Industriebetrieben bezieht. Das Gesundheitsmapping, das vor allem in Kanada und Brasilien entwickelt wurde und sich dort als gewerkschaftliche Organisierungsmethode bewährt hat, findet mittlerweile auch in afrikanischen Ländern Nachahmung. Und in us-amerikanischen Worker-Centers – jenen meist außergewerkschaftlichen Anlaufstellen für prekäre ArbeitsmigrantInnen – wird das Mapping ebenfalls erfolgreich für Empowerment-Prozesse eingesetzt: Es gehört dort zum »holistic approach«, also einer »ganzheitlichen« Herangehensweise, die unter anderem über Gesundheitsfragen die Ausbeutungs- und Aufenthaltssituation der MigrantInnen problematisiert und kollektive Veränderungsprozesse in Gang zu bringen versucht.
Zurück zum angelaufenen GSR-Projekt: Hier sind zunächst Klinikbeschäftigte, LehrerInnen und StudentInnen, SeniorInnen in einem Wohnheim, Flüchtlingsfrauen und migrantische LandarbeiterInnen die Zielgruppen der »Was macht uns krank?« - Befragung. Das bisherige ›Diskursprojekt‹ GSR, dessen Debatten sich auf www.globale-soziale-rechte.de verfolgen lassen, sucht damit »den Sprung ins Praktische«: Eine neue Erdung in unterschiedlichen lokalen oder betrieblichen Auseinandersetzungsfeldern, die anschließend in einem übergreifenden Austausch und womöglich sogar in einer gemeinsa-men Kampagne zusammengeführt werden sollen. Denn die Herausforderung besteht nicht allein darin, gegen die Vereinzelung, Depression und Ohnmacht Selbstermächtigungsprozesse zu befördern, sondern auch über die jeweiligen Partikularinteressen hinauszugehen, das heißt mit anderen sozialen Realitäten und Widerständigkeiten in Kommunikation zu treten. Die Befragung »Was macht uns krank?« könnte sich insofern als Katalysator entpuppen, um Cross-Over-Prozesse anhand des immer wichtigeren Themenfeldes »Gesundheit« neu anzugehen – und somit als konkretes und exemplarisches Feld für die Weiterentwicklung von Kämpfen für globale soziale Rechte, worin letztlich die einzig angemessenen Antwort auf die globale Krise und ihre Spaltungslinien liegt.
// Krise & soziale Kämpfe: Fragen, Debatten, Strategien
zur aktuellen Situation // Hrsg. von Transact! // Frühjahr 2009 // Nr.2
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