Bewegungsfreiheit und Klimagerechtigkeit als globale soziale Rechte
Als das globale Bankensystem Ende 2008 auf den Abgrund zutaumelte, herrschte innerhalb linker Kreise nicht nur Sorge, vielmehr machte sich auch so etwas wie verhaltener Krisenoptimismus breit. Der Kapitalismus schien wie ein Kaiser ohne Kleider, das Bonmot der Krise als einem „Treibhaus sozialer Kämpfe“ machte die Runde. Mittlerweile ist hingegen Ernüchterung eingekehrt, manche sagen auch: Vernunft.
Denn klar ist, dass weder soziale Bewegungen noch Gewerkschaften oder andere Akteure über die erforderlichen Ressourcen, Erfahrungen und Programmatiken verfügt haben, um ernsthaft politisches Kapital aus den bis heute andauernden Turbulenzen der globalen Ökonomie schlagen zu können. Eine Einsicht, an der auch punktuelle Ausnahmen nichts ändern können, etwa die Proteste gegen den Drogeriediscounter „Schlecker“, welche vielerorts von krisenbezogenen Bündnissen (mit-)getragen wurden. Ganz ähnlich die Erfahrungen beim letztjährigen UN-Klimagipfel in Kopenhagen: Auch hier wurden die im Vorfeld gehegten Hoffnungen massiv enttäuscht, insbesondere ist die Erwartung einer klimapolitischen, an die Erfolge des Seattle-Zyklus‘ anknüpfenden Frischzellenkur der globalisierungskritschen Bewegung nicht aufgegangen.
Kurzum, das Jahr 2009 hat aus linker Perspektive zweierlei nachdrücklich in Erinnerung gerufen: Geschichte ist zwar ein offener und durchaus sprunghafter Prozess, dennoch sind Protest, Widerstand und Umbruch keine Selbstläufer, sie können nicht kurzerhand aus objektiven Makro-Daten wie Betriebsschließungen oder steigenden Meeresspiegeln abgeleitet werden. Ihre Basis ist vielmehr das Potpourri jener Erfahrungen, die aus langjährigen, häufig lokal verankerten Kämpfen hervorgehen, ganz gleich, ob es um politisch artikulierte Kämpfe oder individuelle Widerstandsakte bzw. Überlebensstrategien geht. Im Gegenzug gilt aber auch, dass handfeste Veränderungen nur dort durchgesetzt werden können, wo die unterschiedlichen Akteure und Bewegungen bereit sind, in mehr oder minder temporären Bündnissen gemeinsam an einem Strang zu ziehen – bei allem Wissen um die jeweiligen Differenzen.
In praktischer Hinsicht ist das der Grund, weshalb wir uns an der Vorbereitung für das von der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen initiierte „Festival in Erinnerung an die Toten der Festung Europa“ beteiligen, welches vom 4. bis 6. Juni in Jena stattfinden wird. Denn beide Blickwinkel sollen dort eine wichtige Rolle spielen: Einerseits die Weiterentwicklung konkreter flüchtlings- und migrationspolitischer Kämpfe, andererseits gezielte Brückenschläge, etwa die Beschäftigung mit dem äußerst vielschichtigen und keineswegs eindeutigen Verhältnis zwischen Klimawandel und Flucht.
Das Karawane-Festival verweist darüber hinaus auf weitere, in den nächsten Monaten anstehende antirassistische Aktivitäten: Nachdem es im Sommer 2009 anlässlich des NoBorder-Camps auf der griechischen Insel Lesbos zur spektakulären Schließung des Abschiebeknasts „Pagani“ gekommen ist, soll auch dieses Jahr die Situation an den EU-Außengrenzen skandalisiert werden – in Griechenland genauso wie im Rahmen einer Kampagne gegen Dublin II-Abschiebungen (vgl. S. 3). Nicht minder bedeutsam ist, dass der Zusammenhang zwischen prekarisierter Arbeit und Migration immer stärker in den Fokus tritt, insbesondere durch Beratungsstellen für Beschäftigte ohne gesicherten Aufenthalt, welche zur Zeit in mehreren Städten aufgebaut werden (vgl. S. 4).
Es ist bereits angeklungen: Der Klimawandel ist und bleibt eine der zentralen Herausforderungen schlechthin – nicht nur an sich, sondern auch in seiner Eigenschaft, die im globalen Süden ohnehin desaströsen Verhältnisse auf kaum abschätzbare Weise zuzuspitzen. Um so erfreulicher ist es, dass mittlerweile trotz Post-Kopenhagen-Depression diverse klimapolitische Interventionen in Planung sind, nicht zuletzt ein europaweiter Aktionstag für „climate justice/ Klimagerechtigkeit“ Anfang Oktober (vgl. Seite 3).
Klimagerechtigkeit ist ein wichtiges Schlagwort. Denn zusammen mit Flucht und Migration gehört der Klimawandel zu jenen Phänomenen, welche mit Nachdruck die Frage aufwerfen, wie transnationale Organisierungsprozesse von unten – und somit globale Solidarität – im Zeitalter neoliberaler Globalisierung konkret aussehen können. Herausfordernd ist diese Frage vor allem deshalb, weil derlei an den neuen Internationalismus der 1980er Jahre kritisch anschließende Aktivitäten in den vergangenen zwei Jahrzehnten reichlich in Verruf geraten sind – überwiegend zu Unrecht, wie wir meinen (vgl. S. 2). In diesem Sinne messen wir dem Ausbau unserer seit dem G8-Gipfel in Heiligendamm entstandenen Kontakte zu (migrationspolitischen) BasisaktivistInnen in West- und Nordafrika eine hohe Bedeutung zu. Konkret planen wir an einer inner-westafrikanischen Karawane gegen die Festung Europa teilzunehmen, welche im unmittelbaren Vorfeld des nächsten Weltsozialforums in Dakar/Senegal im Februar 2011 stattfinden soll (vgl. S. 4). Programmatisch möchten wir dort vor allem das Doppel Bewegungsfreiheit und Klimagerechtigkeit stark machen – als wichtige Konkretisierungen dessen, was in unseren Augen unter der generellen Forderung nach „globalen sozialen Rechten“ zu verstehen ist.