„Der Damm ist ein Desaster. Ökologisch. Kulturell. Sozial.“ *
Nicht nur 300 Quadratkilometer besiedeltes Land, auch Hasankeyf, eine Stadt mit 10.000 jähriger Geschichte, sollen nach dem Willen der türkischen Regierung für immer in den Fluten des geplanten Ilisu-Stausees verschwinden. Über 55.000 Menschen würden auf diese Weise alles verlieren. Die von den Finanziers aus Deutschland, der Schweiz und Österreich geforderten Mindestauflagen zur sozialen, kulturellen und ökologischen Schadensbegrenzung finden wenig Beachtung. Das war auch der Grund, weshalb das Projekt bereits in den letzten zwanzig Jahren mehrmals gestoppt werden musste – nachdem sich Geldgeber, unter ihnen die Weltbank, zurückzogen hatten. Der Ilisu-Staudamm ist Teil des Südostanatolien-Projektes „GAP“ mit insgesamt 22 Staudämmen in Kurdistan. Neben der Stromerzeugung soll eine Fläche von 1,7 Millionen Hektar zwischen Euphrat und Tigris mittels riesiger Bewässerungsanlagen für die industrielle Landwirtschaft fit gemacht werden – unter anderem für den Anbau von Baumwolle. Der Verbrauch von Pestiziden und Kunstdünger dürfte hierdurch in die Höhe schnellen und zusätzlich zum erwarteten Anstieg des Grundwasserspiegels zur Versalzung und langfristigen Unfruchtbarkeit des Bodens beitragen. Im Tigristal, wo die Landwirtschaft vor 10.000 Jahren erfunden wurde, ist die ökologische Vielfalt bis heute noch relativ intakt, denn das Land wird von den ansässigen Familien für den Eigenbedarf bewirtschaftet. Das bedeutet für sie, kaum Not zu leiden, trotz einer Arbeitslosigkeit von über 80%. Bereits vor einigen Jahren wurden viele von ihnen enteignet, doch entsprechendes Ersatzland erhielten sie nicht. Sie werden stattdessen gezwungen, entweder auf den Feldern der „Agas“, den staatstreuen Großgrundbesitzern, zu schuften oder auszuwandern: in die „Gecekondus“ (Slums) der Großstädte wenn nicht gleich ins Ausland.
Das GAP und die Staudammprojekte sind einerseits Bestandteil einer Zurichtungs- und Verarmungspolitik, welche die nach wie vor starken Autonomiebestrebungen in der kurdischen Bevölkerung brechen sollen. Zum anderen dienen sie geostrategischen Interessen, indem sich die türkische Regierung die Möglichkeit verschafft, die Nachbarländer Syrien und Irak mit der lebenswichtigen Ressource „Wasser“ zu erpressen. Wasser könnte mit anderen Worten das „Öl“ als Kriegsgrund irgendwann ablösen.
Kurdistan ist zwar ein Land der Unterdrückung und des Krieges, dennoch gibt es starke und vielfältige Widerstandsbewegungen. Auch in Hasankeyf formieren sich immer wieder Proteste, letztes Jahr z.B. mit einem internationalen Aktionstag, bei dem von EinwohnerInnen und internationalen Delegationen in einem „Park der Hoffnung“ Bäume gepflanzt wurden. Oder jüngst, als zahlreiche Menschen Asylanträge bei den deutschen Behörden in Ankara und Istanbul gestellt haben, um auf ihre drohende Vertreibung aufmerksam zu machen. „Wenn ihr unser Land zerstört, kommen wir zu euch nach Deutschland, weil ihr uns hier die Lebensgrundlage entzieht!“ Sie stellten damit einen direkten Zusammenhang zwischen Migration und deutscher Projektbeteiligung her.
Die Deka-Bank, in dessen Aufsichtsrat unter anderem die Hamburger Sparkasse sitzt, vergibt Kredite für das Ilisu-Projekt – Kredite, welche ihrerseits durch die staatliche Exportkreditversicherungsgesellschaft „Hermes“ abgesichert werden. Ein weiterer Beteiligter ist die Stuttgarter Baufirma Züblin. Es ist mit anderen Worten notwendig, auch hierzulande den Finanzgebern und Profiteuren des GAP-Prjektes entschlossen entgegenzutreten – auf dass sie endgültig ihre Finger vom „Ilisu–Staudamm“ lassen.
* Wasserbau-Ingenieur Ercan Ayboga und Sprecher der „Initiative zur Rettung Hasankeyfs“
// Mobilisierungszeitung zum Hamburger Doppelcamp // Hrsg. von Transact! // August 2008 // Nr.1 //