Warnschuss gegen „Charter der Schande“


Fluten 3.0. am Hamburger Abschiebeflughafen

Ende März solidarisierten sich in London Fluggäste in einer Linienmaschine von British Airways mit einem nigerianischen Flüchtling, der sich gegen seine Abschiebung zur Wehr setzte. Daraufhin räumte die Polizei die gesamte Economy-Class mit 136 Passagieren, um die Abschiebung doch noch durchzusetzen. Dies war nur die vorläufige Spitze einer ganzen Serie an Konflikten. Denn der quasi-öffentliche Charakter von Abschiebungen in normalen Linienflugzeugen macht den Abschiebebehörden enorm zu schaffen. Deshalb setzen sie zunehmend auf Sammelabschiebungen in eigens gecharterten Fliegern, insbesondere aus Hamburg.

Bereits 2001 hatten rund 2500 DemonstrantInnen am Abschiebetatort Frankfurter Flughafen für reichlich Aufruhr und gehörige Schlagzeilen gesorgt. Unsere Frage lautet deshalb: Was würde passieren, wenn im August Tausende den viel kleineren und nur durch zwei Straßen erreichbaren Hamburger Flughafen belagern oder gar fluten würden? Spätestens Anfang August sollte deshalb unsere Botschaft zunehmend in die Medien gelangen: „Abschiebegegner wollen am Freitag, den 22.08., den Flughafen lahmlegen!“ Offensive Ankündigung, ja spektakuläre Skandalisierung ist angesagt. Gegen die „Charter der Schande“ – wie es vor einigen Jahren in Frankreich hieß. Gegen alle Abschiebungen. Gegen rassistische Abschreckung und Ausgrenzung. Gegen ein globales Apartheidregime der Ein- und Ausschlüsse. Gegen Grenzen als Filter, ausgerichtet nicht zuletzt auf die Erfordernisse der Arbeitsmärkte in Europa.

Mindestens sieben europäische Abschiebecharter sind seit Mai 2004 von Hamburg gestartet, alle in afrikanische Staaten. Kosten scheinen keine Rolle zu spielen. Die EU fördert diese Flüge finanziell und will sie bald von FRONTEX koordinieren lassen, der „EU-Grenzschutzagentur“, welche im Mittelmeer und vor den Küsten Westafrikas Boatpeople jagt und dort das tägliche Sterben mitzuverantworten hat. FRONTEX will sogar ein eigenes Flugzeug anschaffen, insbesondere für jene, die sich bereits zuvor erfolgreich gegen ihre Abschiebung gewehrt haben. Die Flüge gehen dann quer durch Europa, bei Nacht und Nebel, unter Ausschluss jeder Öffentlichkeit, die „Schüblinge“ gefesselt und notfalls geknebelt, von angeheuerten Abschiebeärzten ruhiggestellt, von willfährigen Piloten geflogen – Hauptsache raus!(*)

Genau dagegen gilt es zu intervenieren und einen spektakulären Warnschuss vor den Bug der Abschiebeflotte zu setzen. Es wird ein Streik von außen sein, der Tausende in unterschiedlicher Weise einbezieht, hier als Kundgebung, Kofferdemo oder Rave, dort als flexible Blockade. Unversöhnlich gegen Abschiebungen. Phantasievoll und mutig. Unberechenbar für die Polizei, aber berechenbar für alle, die sich beteiligen wollen. Das ist die erste Herausforderung.

Die zweite Aufgabe ist es, die eher zersplitterten antirassistischen Initiativen in einer gemeinsamen Aktion zusammenzubringen, um durch das Hamburger Camp neue Handlungsfähigkeiten zu erproben. Schließlich stellt sich die Frage einer breiten Mobilisierung sowie der inhaltlichen Vermittlung über den eigenen Tellerrand hinaus.

Insgesamt – soviel steht fest – sind das keine geringen Ansprüche, doch das Ausgangspotential ist auf verschiedenen Ebenen gegeben: Am 4. Juni 2007 demonstrierten im Rahmen der G 8-Proteste knapp 10.000 Menschen für globale Bewegungsfreiheit und gleiche Rechte. Das lässt sich 2008 zwar nicht wiederholen, bleibt jedoch eine inspirierende Erfahrung, nicht nur weil besagte Forderungen in vielen Debatten weiterhin lebendig sind, etwa im Kontext der Initiative für globale soziale Rechte. Nein, genauso wichtig ist, dass auch die AktivistInnen des Klimacamps am 22.08. mit von der Partie sein werden und so die personelle und politische Basis der Aktion deutlich verbreitern dürften.

Doch kann auch eine Vermittlung in andere gesellschaftliche Kreise gelingen? Lässt sich eine Stimmung gegen Abschiebungen verbreitern, trotz der Hetze gegen „kriminelle Ausländer“? 15 Millionen Menschen mit so genanntem Migrationshintergrund leben in Deutschland. Viele von ihnen waren schon irgendwann mit Abschiebungen oder Abschiebedrohungen zumindest im erweiterten Familienkreis konfrontiert. Nur wenige von ihnen beteiligen sich regelmäßig an Aktionen oder Demos, sie sind aber Teil einer Stimmung und somit ansprechbar. Genau wie viele Schulklassen, die für ein Bleiberecht ihrer MitschülerInnen kämpfen. Oder Fussballvereine, die für ihre von Abschiebung bedrohten MitspielerInnen einstehen. Und all diejenigen, die seit Jahren politisch und gesellschaftlich aktiv sind. Alle zusammen sind längst keine Mehrheit, aber bilden das Potential für eine Veränderung. Dazu soll Fluten 3.0 ermutigen.

Hamburg, wir kommen, weil Bleiben ein Recht ist!

 

(*) Im Zeit-Magazin vom 10.01.08 findet sich eine eindrucksvolle Beschreibung der strukturellen Gewalt von Charterabschiebungen: eine fakten- und bilderreiche Reportage über den ersten deutschen Flug, der mit EU-Mitteln finanziert wurde, und am 18.9.06 von Hamburg nach Guinea, Togo und Benin ging. An Bord war nicht zufällig auch ein Frontex-Vertreter.

 

// Mobilisierungszeitung zum Hamburger Doppelcamp // Hrsg. von Transact! // August 2008 // Nr.1 //

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