Linke Bewegungen haben derzeit mehr Fragen als Antworten
Als vergangenes Jahr etliche Großbanken wie Kartenhäuser zusammenbrachen, übernahmen zunächst einmal – jedenfalls in der linken Debatte – ökonomische ExpertInnen das Ruder. Zweierlei stand im Zentrum ihrer Ausführungen: Einerseits, inwiefern sich auf der Grundlage einer schweren Überakkumulationskrise sowie weiterer Faktoren spätestens seit den frühen 1970er Jahren internationale Finanzmärkte im großen Stil herausgebildet haben. Andererseits, inwiefern die globale Finanzindustrie seitdem – trotz temporärer Krisen wie 1987 und 2000 – immer rasanter angewachsen ist, und zwar derart ungebremst, bis die kreditfinanzierten Wettpyramiden endgültig kollabierten und die skurril anmutende Finanz-Bonanza ihr vorläufiges Ende fand.
Doch rasch wurde deutlich, dass eine streng ökonomisch bzw. wertkritisch ausgerichtete Analyse nicht reichte – schlicht deshalb, weil die Finanzmärkte ihre schiere Größe und somit Macht nicht aus eigener Kraft errungen hatten. Vielmehr waren bzw. sind sie Teil jenes Prozesses, der als neoliberale Globalisierungsoffensive bekannt geworden ist und der Anfang der 1970er Jahre als Klassenprojekt ›von oben‹ eingefädelt wurde – nicht zuletzt als Reaktion auf all die Turbulenzen, in welche der fordistische Kapitalismus seit Mitte der 1960er Jahre geraten war. Bedeutsam ist diese Erweiterung des Blickwinkels insofern gewesen, als hierdurch einmal mehr die zentrale Rolle sichtbar wurde, die soziale Kämpfe im Rahmen gesamtgesellschaftlicher Entwicklungsdynamiken spielen. Konkreter: Die Krise des Fordismus bleibt ohne Bezug auf die relativ erfolgreichen Klassenkämpfe in den 1950er und 1960er Jahren unverstanden – Stichwort: fordistischer Klassenkompromiss. Denn es war vor allem der Widerstandskraft der ArbeiterInnenschaft geschuldet, dass die Überakkumulationskrise nicht auf Kosten der abhängig Beschäftigten abgefedert werden konnte, ob durch Lohnsenkungen oder Verdichtung der Arbeitsabläufe. Und auch die neoliberale Globalisierungsoffensive ist keineswegs glatt verlaufen. Im Gegenteil: Es entwickelte sich ein weiterer Zyklus an Kämpfen, sowohl in den reichen Industrieländern als auch im Süden des Globus – eine Konfliktdynamik, welche erst in den 1990er Jahren abgeebbt bzw. in handfeste Niederlagen eingemündet ist, vor allem seitens der globalen ArbeiterInnenbewegung (vgl. hierzu die Lesehinweise auf Seite 4).
Eine weitere Akzentverschiebung in Sachen Kämpfe entstand, als rund um den Globus Rettungsschirme für vermeintlich notleidende Banken aufgespannt wurden und die Krise zudem begann, in die so genannte Realwirtschaft überzuschwappen. Denn unversehens drängten sich nunmehr soziale Kämpfe als unmittelbare Herausforderung im Hier und Jetzt auf: Zum einen weil offenkundig wurde, dass die Zeche langfristig von der Masse der breiten Bevölkerung getragen werden müsste, worauf ja der zentrale Slogan auf den Großdemos am 28. März »Wir zahlen nicht für eure Krise« anschaulich hingewiesen hat. Zum anderen, weil sich bereits frühzeitig Massenentlassungen, Verdrängungskämpfe und der gleichen mehr abgezeichnet haben – nicht nur hier, sondern weltweit. Wie heiß die Luft tatsächlich ist, davon zeugten in den vergangenen Monaten Fabrikbesetzungen in den USA und Großbritannien genauso wie der Generalstreik in Frankreich oder der (erfolgreich verlaufene) Hungerstreik von VW-LeiharbeiterInnen in Wolfsburg.
Mit anderen Worten: Die soziale Frage hat sich seit Anfang des Jahres 2009 mit enormer Wucht ins Zentrum linker Analysen und strategischer Debatten zurückkatapultiert – wesentlich nachdrücklicher, als das etwa bei den Sozialprotesten 2003/04 der Fall war. Nicht minder deutlich wurde allerdings auch, dass die bewegungsorientierte Linke derzeit mehr Fragen als Antworten hat – insbesondere vier Problemkomplexe schälten sich heraus: Erstens ist nicht von der Hand zu weisen, dass viele Linke wenig bis keine Erfahrungen in sozialen Kämpfen haben, daran ändern auch Ausnahmen nichts wie etwa die Beteiligung an antirassistischen Bleiberechtskämpfen, die jahrelange Mitarbeit in Sozialforen oder die Unterstützung von Streiks – etwa bei AEG in Nürnberg oder im Berliner Einzelhandel. Was fehlt, sind kontinuierliche Projekte und Unterstützungsstrukturen, welche spontan und flexibel intervenieren oder selbst die Initiative ergreifen könnten. Hierzu passt zweitens, dass die Beschäftigung mit eigener Prekarisierung häufig zur mehr oder weniger subkulturell bzw. gruppenidentitär angehauchten Selbstbespiegelung zu geraten droht – auf jeden Fall ist es bislang kaum gelungen, politische Brücken bei-
spielsweise zwischen Laptop-Prekären und Papierlosen zu schlagen. Drittens musste einmal mehr schmerzlich zur Kenntnis genommen werden, dass die Masse der Prekarisierten nicht sonderlich streik- bzw. protestwillig ist. Vorherrschend scheinen stattdessen Angst und Verunsicherung zu sein – was sicherlich auch Resultat der zahlreichen Niederlagen in den letzten 20-30 Jahren sein dürfte. Viertens stellt sich die Frage, mit welcher Programmatik überhaupt in soziale Kämpfe reingegangen werden soll: Massenorientierung, auch wenn dies mit nationalen bzw. protektionistischen Tönen einhergeht oder Stärkung globaler Perspektiven, das heißt des Rechts aller Menschen auf gleiche Rechte bzw. Teilhabe? Eine Frage, die nicht nur innerhalb der Gewerkschaften äußerst kontrovers diskutiert wird, sondern auch anlässlich der Krisendemos am 28. März eine wichtige Rolle spielte, hat doch in Frankfurt der bekennende Natio-nal-Keynesianist Oskar Lafontaine als Redner Der Linken gesprochen.
Spätestens vor diesem Hintergrund lässt sich das doppelte Anliegen dieser Zeitung auf den Punkt bringen: Zum einen möchten wir unserer Überzeugung Ausdruck verleihen, dass von undogmatisch linker Seite die zentrale Antwort auf die Krise in der Initiierung sowie Stärkung und Unterstützung lokaler Kämpfe liegen sollte. Denn so wichtig symbolische Großereignisse wie die Krisendemos am 28. März sind, in die Offensive kommen wir langfristig nur, wenn es uns gelingt – quer zu allen Widersprüchen – soziale Verdichtungen und somit temporäre autonome Zonen bzw. Assoziationen herzustellen. Zum anderen möchten wir Tipps, Argumente und Positionen zur Diskussion stellen, die uns vor dem Hintergrund unserer eigenen, vor allem in antirassistischen Kämpfen gemachten Erfahrungen wichtig erscheinen. Ein besonderes Anliegen ist uns hierbei die Zurückweisung jeder Form chauvinistisch bzw. nationalistisch grundierter Standort- und Abschottungspolitiken: Die Krise darf nicht zu neuen, staatlich sowie zivilgesellschaftlich regulierten Spaltungslinien führen – weder nach innen noch nach außen (womit natürlich auch ökologische Verwerfungslinien gemeint sind). Angesagt ist vielmehr, das Primat sozialer Kämpfe – und somit Globale Soziale Rechte – gegen die Krise in Stellung zu bringen!
Inspired by
Express // Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit: extrem spannende Debatten zur Krise www.labournet.de/express
LabourNet Germany // immer für aktuelle Hintergründe zu Arbeitskämpfen rund um den Globus gut: www.labournet.de
ak // zeitung für linke debatte und praxis: weitere interessante Textsammlung zur Krise unter: www.akweb.de
Wildcat // informieren seit Jahren fundiert, wo Kämpfe stattfinden: www.wildcat-www.de
TIE (Transnational Information Exchange) //Netzwerk von Gewerkschaftslinken, die u.a. die Methode des Gesundheitsmapping (siehe Artikel auf dieser Seite) entwickelt haben –www.tie-germany.org
Impressum
V.i.S.d.P. Luciente Riva, c/o St. Pauli-Str. 10-12, 28 203 Bremen // Fotos Roland Geißheimer / attenzione, Sacha Hartgers, Christian Ditsch / version //
// Krise & soziale Kämpfe: Fragen, Debatten, Strategien
zur aktuellen Situation // Hrsg. von Transact! // Frühjahr 2009 // Nr.2
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