Papierlos, aber nicht rechtlos


Widerstandstrategien & migrantische Arbeit

Rund um den Globus zählen MigrantInnen mit ungesichertem Aufenthalt zu denjenigen Beschäftigten, die wohl dem stärksten Ausbeutungsdruck ausgesetzt sind, und das nicht erst seit Beginn der Krise vor mehr als zwei Jahren. In europäischen Gefilden ist dieser Umstand bereits seit Jahrzehnten in diversen Sektoren zu beobachten, unter anderem in der Pflege, auf dem Bau oder in der Landwirtschaft.

Charakteristisch für diese Arbeitsverhältnisse ist die relative rechtliche Schutzlosigkeit der Lohnabhängigen und die daraus resultierende Abhängigkeit von der Willkür der ArbeitgeberInnen: Profit wird insbesondere aus der Unsicherheit und Unkenntnis der häufig undokumentiert Beschäftigten geschlagen – Sozialabgaben oder gleich der ganze Lohn werden einbehalten, selbst minimale Sicherheitsstandardards am Arbeitsplatz existieren nicht. Das ist es, was migrantische Arbeit neben der ohnehin üblichen Unterbezahlung so günstig macht.
Werden steuerliche oder migrationspolitische Maßnahmen einzelner Staaten darauf ausgerichtet, ‚geschickt‘ mit der Ware migrantischer Arbeitskraft zu spekulieren und wenig oder keine Zugeständnisse in Bezug auf die rechtlichen Gleichstellung von MigrantInnen zu machen, steigt die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Gegen diese Logik sollten Gewerkschaften eigentlich aktiv werden. Ihre Aufgabe wäre es, migrantische ArbeiterInnen, ob mit oder ohne Papiere, konsequent über ihre Rechte zu informieren, ihnen in ihren Apparaten politische Mitsprache zu ermöglichen sowie Infrastruktur und finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Erfreulich ist daher, dass an manchen Orten in Deutschland bereits erste Schritte in die richtige Richtung gemacht wurden: Das zeigen etwa die vom DGB getragene „MigrAr“-Anlaufstelle für Papierlose in Hamburg, eine ähnliche, erst jüngst eröffnete Beratungsstelle in München oder der seit einem Jahr von migrantischen Gruppen und UnterstützerInnen betriebene „AK Undokumentiertes Arbeiten“ im ver.di-Haus in Berlin. Wesentliche Impulse, die zur Schaffung dieser Beratungsstellen gesetzt wurden, kamen aus dem antirassistischen Spektrum, also „von außen“. Dies deutet darauf hin, dass es nicht nur um Beratungsstellen für Papierlose geht, sondern auch um den Aufbau politischen Drucks: Einerseits, um die starren Verhältnisse innerhalb der Gewerkschaftsbürokratie selbst infrage zu stellen, andererseits um auf gesamtgesellschaftlicher Ebene öffentlichkeitswirksam antirassistische Impulse zu lancieren.
Als positives Beispiel für migrantische Selbstorganisation kann vor diesem Hintergrund die Gewerkschaft SOC dienen, welche in Andalusien/Südspanien tätig ist und MigrantInnen unterstützt, die im agrarindustriellen Gemüseanbau arbeiten. Die Beratungstätigkeit der SOC ist umfassend und betrifft vor allem Aufenthalts- und Arbeitsrechte. Die Summen, die gemeinsam mit den Geprellten erstritten werden, sind beachtlich – zehntausende von Euro für eine einzelne Person sind keine Seltenheit. Entscheidend war dabei stets, dass die GewerkschafterInnen der SOC, mit ihrer permanenten Präsenz im Feld (oder besser gesagt: in den Gewächshäusern sowie den „Chabola-Siedlungen“) mutig in Arbeitskonflikte interveniert und sich niemals in ihre Büros zurückgezogen haben. Somit wurde ein gewerkschaftlicher Ansatz gefunden, der wirksam ist, aber auch unerlässlich, sollen die vollkommen marginalisierten ArbeiterInnen in der Region überhaupt erreicht werden. Zentral ist des Weiteren, dass die hauptamtlichen SOC-GewerkschafterInnen meist einen migrantischen Hintergrund haben, die jeweiligen Sprachen der ArbeiterInnen sprechen und zudem selbst in den Gewächshäusern der Region geschuftet haben – oft über Jahre hinweg.
Darüber hinaus haben systematische Öffentlichkeitsarbeit sowie Organisierung von Kundgebungen und Demonstrationen die Anwesenheit der migrantischen ArbeiterInnen auf der politischen Bühne sichtbar gemacht, und das nicht zuletzt mit europäischer Unterstützung: Über einen Zeitraum von mittlerweile zehn Jahren wurde in Ländern, die zu den Hauptabnehmern von Gemüse aus Almeria zählen, politischer Druck aufgebaut, unter anderem wenn es zu Repression oder rassistischen Angriffen gegen Mitglieder der SOC kam. Hauptsächlich beteiligten sich Soli-Gruppen aus der Schweiz und Frankreich, aber auch aus Deutschland und Österreich an der Kampagne (nur am Rande sei in diesem Zusammenhang erwähnt, dass Deutschland schon seit langem größter Importeur ist: Im Jahr 2008 wurden laut Eurostat 201.000 Tonnen spanische Tomaten in die Bundesrepublik geliefert). Kritik am herrschenden Landwirtschafts-Modell sowie Solidarität mit der SOC wurde insbesondere vor dem Hintergrund formuliert, dass es in Nord- und Westeuropa billiges Wintergemüse nach wie vor nur zum Preis der konsequenten Mißachtung von ArbeiterInnenrechten in Almeria und anderen Intensiv-Regionen in Südeuropa gibt, aber auch an jeder einzelnen Station der oft zitierten Wertschöpfungskette: in den Abpackbetrieben, in den Logistik-Unternehmen, beim LKW-Transport und schließlich bei Lidl an der Kasse. Kurzum, nicht nur an der Produktionsstätte selbst sollte Ausbeutung bekämpft werden, sondern auch an den Orten, an denen die Produkte über die Ladentheke gehen. Ein Grund mehr, (migrantische) Arbeitsrechte transnational zu verteidigen.

Mehr Infos finden sich in der Broschüre „Peripherie & Plastikmeer. Globale Landwirtschaft, Migration, Widerstand“ (EBF und NoLager Bremen, 2009. 112 Seiten). Zu bestellen unter plastik.meer@reflex.at

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